80 km mit dem Kanu Lahnabwärts  – Eine Sportwoche mit Physik

Tag 1

Django, der Schulhund der GHS, kräuselt die Stirn und lässt den Blick über das Wasser schweifen. Da fließt sie – die Lahn! Sechs Tage als Bootshund, doch dann reißen ihn Stimmen aus seinen Abenteuerfantasien von Seehunden, denn inzwischen haben sich 21 aufgeregte 8-Klässler dem Bus entwunden, müssen schon die mitgebrachten Zelte, Schlafsäcke und Dies und Das in wasserdichte Säcke verpacken und haben so gar keine Augen für den wundervoll am Fluss gelegenen Biergarten in Wetzlar – vielleicht auch deshalb, weil er noch geschlossen hat. Die 4er-Kanadier sind ganz schön groß und wer soll eigentlich mit wem und wie steigt man ein und jetzt geht sie los, die Reise auf dem Fluss – erst mal im Zickzack. „Das Paddel weiter nach hinten zum Steuern!“, „Nein! … andere Seite“, „Vorwärts paddeln“, „Kommt aus dem Gebüsch wieder raus!“ – hört man es über den Fluss schallen, während die physikalische Realität der Hydrodynamik gegen die Intuition ankämpft. Die Hydrodynamik gewinnt. Allmählich finden immer mehr Boote den Weg in die gemächliche Strömung und streben der ersten Schleuse zu. Die Sonne scheint. Das erste Team erprobt die Regulation von Staudruck mittels zweier Schleusentorpaare mit Schiebern. Bergschieber auf, Talschieber zu, Schleuse läuft voll, Tore öffnen, Hurra, wir fahren rein, Tore zu, Schieber zu, Talschieber auf, warten … , jetzt geht es – Tore auf, freie Fahrt … bis zur nächsten Schleuse. Jetzt ist die Strömung stärker. Oh, ein Gebüsch! „Hilfe, eine Maus ist in unser Boot gefallen und rennt drin rum!“. So werden Flora und Fauna der Lahn erkundet. Nach 13 km wird das Tipi Dorf in Solms erreicht, die Statik von Zelten erprobt und der Tag klingt mit der thermischen Verwertung von Holzscheiten und burnt smores aus.

Tag 2

Von der Sonne geweckt, gut gefrühstückt und schon wieder alles verpackt muss gleich am Start eine starke Querströmung überwunden werden. Unter Berücksichtigung des richtigen Winkels, der Trägheit des Kanus und dem richtigen Drehmoment gelingt die Übung und die 8 Kanus sind auf dem Weg in Richtung Weilburg. Heute stehen 16 km auf dem Plan. Da die Lahn hier mit etlichen munteren Schnellen fleißig schiebt, erreichen wir das Bootshaus des Rudervereins schon am frühen Nachmittag. Unterwegs haben wir den einen oder anderen Müll eingesammelt, den wir hier seiner Bestimmung übergeben können. Die Altstadt lockt und auf ein Lagerfeuer kann zu Gunsten von Kultur verzichtet werden. In der Nacht regnet es.

Tag 3

Die Bootsbesatzungen werden wieder neu gemischt – nicht, weil die Lehrer die Performance der Boote optimieren wollen, sondern weil die Schüler aus verschiedenen Klassen und Schulzweigen sich immer besser kennenlernen und die Gruppendynamik ihren Lauf nimmt. Es gibt dennoch ein gewisses Gerangel um die Steuerleute, denn es hat sich bereits gezeigt, dass das Steuern eines voll beladenen Kanadiers nicht für jeden machbar ist. Aber jetzt geht es erst mal in den Tunnel. „ADOLPHUS DUX NASSOVIAE MONTIS JUGUM PERFOSSUM NAVIBUS APERUIT A.D. MDCCCXLVII“ steht am Eingang. Hier hat also der Herzog von Nassau den Fels durchstoßen und den Schiffen geöffnet. Wahrscheinlich war er es aber nicht alleine. Dahinter wartet eine Doppelkammerschleuse, die es ermöglicht, die Schiffe über eine große Höhendifferenz zu versetzen – ein technisches Meisterwerk, das intensiv diskutiert wird. Danach geht es gemütlich bis nach Gräveneck, wo die Zelte aufgebaut werden und ein Lagerfeuer zum Ort abendlicher Fachsimpeleien wird.

Tag 4

Kurz vor 11 Uhr sind die Boote wieder im Fluss, der gemächlich durch den Wald mäandriert. Ein Eisvogel am Gleithang, ein Reiher am Prallhang, ein Schwan fliegt vorbei, die Entenfamilien sind süß! Wo ist denn die Hauptströmung? Man lernt, den Fluss zu lesen. Es ist eine Entdeckung der Ruhe, der Langsamkeit, der Geduld und der Tatsache, dass gleichmäßiges Paddeln im Team effektiver ist, als unkontrolliert, gelegentliches Gestocher mit den Paddeln im Fluss. Die Boote gleiten dahin. Die Stimmung ist gut, das Wetter auch! Das Wetter muss hier besonders gelobt werden, denn es soll ja nicht verärgert werden und auch im nächsten Jahr so vorbildlich perfekt sein. Stunden vergehen. Arme schmerzen. Rücken auch. Es ist eben doch eine Sportfahrt. Dann endlich kommt Runkel in Sicht – mit einer beeindruckenden Burg, einer letzten Schleuse und einem sehr schwierigen Anlegemanöver. In einer Linkskurve mit sehr starker Strömung warten links eine Kette unangenehmer Steine, die die halbe Breite des Flusses einnehmen und rechts dichte Gebüsche, die sich weit in den Fluss vorwagen. Nun muss ein Kanadier mit Gepäck und 4 Personen exakt in der Strömung um die Steine, den Gebüschen ausweichen und nach Links ins Kehrwasser eingefahren werden. Das erfordert Brems- und Ziehschläge vorne links und Kreisschläge der Steuerfrau, gefolgt von vereintem Vorwärtspaddeln der ganzen Mannschaft, wenn das Boot um 130 Grad gedreht hat. Das ist eine der Stellen, vor der die Lehrer Respekt haben und bereit sind, die Schüler samt Gepäck und Boot aus der Schwimmlage zu retten. Alle haben es geschafft und tatsächlich ist dieses Jahr überhaupt niemand gekentert! Das gab es bisher noch nie. Danach schmeckt das Abendessen und außerdem wird noch das Eine oder Andere am Lagerfeuer vor dem Tipi gegrillt.

Tag 5

Den Muskelkater bekämpft man am besten mit Paddeln. Also los, die Boote ins Wasser. Leider ist das Ablegen in Runkel ähnlich schwierig wie das Anlegen, denn man muss das vollbeladene Boot über Treppen ins Wasser lassen. Die Gravitation sorgt mit der großen Bootsmasse für eine gewaltige Hangabtriebskraft auf der Treppe! Wer hält eigentlich das Sicherheitsseil? Niemand! Das Boot rutscht über die Treppe wie Schorsch Hackel im Eiskanal und da es ein Boot ist, schwimmt es der Strömung entgegen. Wenn das Boot die Strömung erreicht wird es abgetrieben und die Besatzung kann es am Ufer zu Fuß verfolgen. Leider ist da kein Weg. Da das zuvor gestartete Boot noch in unmittelbarer Nähe ist und das Malheur verfolgt hat, wird die geistesgegenwärtige Crew zum Retter in der Not, fängt das Boot ab, bevor es die Hauptströmung erreicht und bugsiert es ins Kehrwasser wo die kleinlaute Besatzung feuchten Fußes einsteigen kann. Danach geht es gen Limburg wo der Dom imposant das Ende der wilden Lahn anzeigt. Ab Limburg ist die Lahn staureguliert und ohne Strömung. Hier gibt es Schleusen mit Personal und Fahrgastschiffe. So paddeln wir bis Diez, am Schloss Oranienstein vorbei, dem Stammhaus des holländischen Königshauses. Die Zelte werden aufgebaut und die herannahende Gewitterfront wird im Restaurant des Campingplatzes abgewartet.

Tag 6

Es hat aufgehört zu regen und die Sonne bescheint das Frühstück am Fluss. Noch 8,2 km bis Balduinstein. Neue Bootsbesatzungen. Eine leichte Melancholie vermischt sich mit der Freude auf das Zuhause. Alle haben den Fluss liebgewonnen. Alle haben begriffen, dass Tourismus und Naturschutz Hand in Hand gehen kann und dass man nicht unbedingt eine Fernreise unternehmen muss um Neues zu erleben und viel Spaß zu haben. Django hat sich nach der Ankunft zum Schlafen zusammengerollt, grunzt und träumt von neuen Abenteuern am und auf und mit dem Fluss, im nächsten Jahr.

verf. A. Scherpner & Dr. D.

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